Geschichte

Die Burschenschaft Normannia steht in der Tradition des 1868 in Lützschena gegründeten Akademischen Turnvereins (ATV) zu Leipzig.
Im 19. Jahrhundert besaß der Allgemeine Turnverein zu Leipzig eine Riege von Studenten und Akademikern, die 1860 das 1. Deutsche Turnfest in Coburg besuchte. Eine späte Folge war die Gründung des Akademischen Turnvereins (ATV) zu Leipzig am 5. Dezember 1868 durch den Theologiestudenten Hermann Zabel.

Der ATV entwickelte sich rasch zu einer großen Verbindung, nahm den Turnbetrieb und im Juni 1869 das Fechten auf. Im Oktober des Jahres erschien er erstmals beim Rektoratswechsel.

Als “äußeres Erkennungszeichen” wählte der ATV im SS 1870 die grüne “Sammetmütze”, den “Frühling des Vereins” bedeutend. 1872 erhielt er seine erste Fahne und gründete auf dem 4. Allgemeinen Deutschen Turnfest in Bonn den “Cartellverband Academischer Turnvereine” mit, aus dem sich der “Vertreter-Convent der Turnerschaften an deutschen Hochschulen” entwickelte. Diesen verließ man nach Unstimmigkeiten 1899.

Der ATV festigte sich immer mehr, 1876 wurde die bisher getragene grüne Samtmütze gegen eine rote eingetauscht und der bis heute gültige Wahlspruch “Wahrheit, Muth und Kraft!” gewählt, Ende 1881 das rot-weiß-grüne Band angelegt, am 7. Dezember 1882 der Name “Normannia” angenommen. Die “sturmerprobten, wetterfesten Recken germanischer Vorzeit” dienten als Vorbild.

Normannia legte im SS 1897 den Namen “Akademischer Turnverein” ab und nannte sich fortan “Turnerschaft”, nach dem Austritt aus dem Vertreter-Convent “Freie Turnerschaft”, seit dem 2. Juni 1902 “Freie schlagende Verbindung”. 1907 trat Normannia vorläufig, 1909 endgültig der Deutschen Burschenschaft bei. In diese Zeit fällt auch die Teilnahme an der 500-Jahr-Feier der Universität, die Gründung eines Hausbauvereins, der Bau eines Hauses und dessen Bezug am 8. Februar 1913. Das Haus wurde leider bei einem Bombenangriff im Dezember 1943 zerstört.

Während des Ersten Weltkriegs ruhte der aktive Betrieb und wurde erst Anfang 1919 wieder aufgenommen, das 50. Stiftungsfest sehr bescheiden gefeiert. Das wurde 1929 zum 60. Stiftungsfest nachgeholt, nachdem Normannia 1927 Vorsitzende der Deutschen Burschenschaft gewesen war und die 110-Jahr-Feier des Wartburgfestes ausrichtete.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 richtete Normannia auf ihrem Haus eine Kameradschaft ein, die bis Ende 1934 bestand. Das Führerprinzip hatte die Umwandlung der Burschenschaft zur Folge. Die feierliche Burschenverpflichtung wurde abgeschafft und es gab keinen gewählten Sprecher mehr. Am 7. November 1934 trat Normannia aus der Deutschen Burschenschaft in “stolzer Normannentradition, burschenschaftlicher Ehrauffassung und ¼ waffenstudentischer Ehrenhaftigkeit” aus, weil seitens nationalsozialistischer Funktionäre versucht worden war, Einfluss auf das innere Leben der Burschenschaft zu nehmen. Der aktive Betrieb wurde neun Monate später eingestellt, eine “Übernahme” durch den NS-Studentenbund kam “keinesfalls in Frage”. Die nächsten Jahre existierte Normannia nur als Altherrenverband.

„Wir stehen zusammen heute und in der Zukunft in Wahrheit, Mut und Kraft für die Ehre und die Freiheit des Vaterlands!“

Syndikus Friedrich Arnecke, Bundesleiter Normannias, 1938

Bereits 1946 sammelten sich die Normannen in Dresden, 1948 erschien ein erstes Rundschreiben, am 5. Dezember 1949 erstand der Altherrenverband in Hamburg neu. Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 flohen bis 1961 viele Normannen aus der Ostzone in den Westen. Trotzdem gab es noch über Jahrzehnte Normannen-Stammtische in Leipzig, Zwickau, Dresden und an anderen Orten, zu denen insgeheim Kontakt gehalten wurde.

Da an eine Wiederaufnahme des aktiven Betriebs im sowjetisch besetzten Leipzig und unter der Willkürherrschaft des SED-Staates nicht zu denken war, schloss sich Normannia 1951 an die Münchner Burschenschaft Cimbria an, zu der seit 1910 Beziehungen bestanden. Das 83. Stiftungsfest vom 18.–20. Juli 1952 begingen Cimbern und Normannen gemeinsam. Weitere, weit zurückreichende Kontakte pflegt Normannia zur Alten Rostocker Burschenschaft Obotritia. Gemeinsam bilden Cimbria, Obotritia und Normannia den Freundschaftsbund:

„Studentische Freundschaft außerhalb der Korporation vergeht alsbald wie ein Tropfen im Strom, die Freundschaft im Lebensbund bleibt ein rocher de bronce!“

Alter Herr Rechtsanwalt Paul Hennicke

Erst im Mai 1958 ergab sich die Gelegenheit für Normannia, als Burschenschaft in Marburg a. d. Lahn den aktiven Betrieb nach dem Zusammenschluss mit der akademischen Verbindung Hohenstaufen wiederzueröffnen. Normannia nennt sich seither “Normannia-Leipzig zu Marburg” und bezog wenig später ihr Haus im Barfüßer Tor 14. Bereits am 18. Juni 1958 konnten die ersten Mensuren nach fast 25 Jahren auf Normannias Farben geschlagen werden.

Als die Deutsche Burschenschaft 1965 in Berlin ihre 150-Jahr-Feier beging, war auch Normannia dabei, die vom 5.–8. Juni 1969 ihr 100. Stiftungsfest beging. 1973 trat Normannia dem Ring weißer Burschenschaften bei, ein Zusammenschluss gleichgesinnter Burschenschaften in der Deutschen Burschenschaft.

1983 weilte Normannia 50 Semester in Marburg. Zum 117. Stiftungsfest am 5. Juli 1986 überreichten ihr die Damen der Bundesbrüder eine neue Fahne. Auch die Bildungsbestrebungen blieben hoch, es sprachen Wilhelm Berkhahn, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Kai-Uwe von Hassel, Bundestagspräsident und ehemaliger Bundesverteidigungsminister, der EG-Kommissar und Berliner Staatssekretär Dr. Gerd Langguth, sowie zahlreiche Professoren der Universität auf dem Haus.

Normannias stetes Festhalten an der deutschen Einheit in Freiheit – auch und gerade als dies immer mehr zu Feiertagsrhetorik verkam – zahlte sich nach der Wende von 1989 aus: am 13. November 1989 organisierten die Marburger Burschenschafter und zahlreiche andere Korporierte eine Kundgebung mit Fackelzug zur Einheit Deutschlands, die eine “Medienschlacht” bis in verschiedene Zeitungen hinein auslöste. Bei den Leipziger Montags-Demonstrationen waren auch Normannen dabei. Am 5. Oktober 1991 fand Normannias erste große Veranstaltung nach dem Krieg in Leipzig statt, am 124. Stiftungstag, dem 5. Dezember 1992, erstand Normannia in Leipzig neu und besteht seither als Burschenschaft Normannia-Leipzig zu Marburg und Burschenschaft Normannia zu Leipzig.

„Normannia ist mir stets Quelle der Freude gewesen, ob als Student oder Alter Herr. Traurig diejenigen, denen diese Erfahrung verwehrt blieb.“

Alter Herr Prof. Dr. Dr. h. c. Alexander Naumann, Ehrensenator der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen
1958 zur Wiedergründung Normannias in Marburg